K u r z f a s s u n g
Jetlag beim Habichtskraut
Eine Untersuchung zur Gattung Hieracium im Raum Bergneustadt
- Gummersbach
Auf einem Steilhang in Gummersbach haben wir viele gelb blühende Pflanzen
gefunden, die unser Interesse geweckt haben. We-gen vieler ähnlicher,
schwer unterscheidbarer Gattungen bereitete uns die Bestimmung von Anfang
an größere Schwierigkeiten. Erst durch umfangreiche Vergleichsuntersuchungen
ist es uns schließlich gelungen, diese sicher den „Habichtskräutern“
(Familie: Asteraceae (Asterngewächse) oder Compositae (Köpfchenblüher),
Unterfamilie: Cichorioideae (Wegewartegewächse) oder Ligu-ligflorae
(Zungenblütler) und Gattung Hieracium) zu zu ordnen.. Immer wieder
wird in der vorliegenden Literatur darauf hinge-wiesen, dass eine sichere
Artbestimmung in dieser äußerst formenreichen Pflanzengattung
(über 600 Subspezies mit über 1000 Zwischenarten) nur eingearbeiteten
Spezialisten gelingt, also sehr problematisch ist. Durch sehr umfangreiche
Merkmalsverglei-che sind wir aber der Meinung, dass die insgesamt 11 Arten,
die wir im Raum Gummersbach-Bergneustadt gefunden haben richtig bestimmt,
in Einzelfällen aber wenigstens korrekt dem passenden Formenkreis
zugeordnet sind. Durch eine umfangreiche Samm-lung analoger und digitaler
Fotos, gepresster (Herbarium) und getrockneter Pflanzen mit Samenbank und
detaillierter Merkmalssteckbriefe mit Messreihen zur Größe und
Proportion einzelner Merkmale und Detailzeichnungen können wir
die Arten anschaulich präsentieren und daran allgemeine und besondere
Kennzeichen, Bestimmungsprobleme und Verwechslungsmöglichkeiten darlegen.
Außerdem haben wir eine Verbreitungskarte im Raum Gummersbach angefertigt
und dabei Ausbreitungstendenz und -modus (Samenbildung, -verbreitung und
-keimung) diskutiert. Besonders erfreulich war dabei, dass sich die noch
vor Jahren als gefährdet angesehenen Bestände dieser Pionierpflanzen
(Straßenränder, Schotter, steinige und felsige Steilhänge)
in unserer Region erholen und sich weiter ausbreiten.
Das ca. 25 Jahre alte, durch Straßenbau entstandene steinig-felsige
Steilhangbiotop ähnelt von seinen Leitpflanzen (Gemeines Blaugras
/ Seslaria albicans) her einer natürlichen, ebenfalls mit Habichtskrautarten
durchsetzten blaugrasreichen Kalkmagerwiese (Seslerio-Mesobromion). Auf
Grund ihrer Anspruchslosigkeit, Blühfreudigkeit, ständigen Keimungsbereitschaft
und Schnell-wüchsigkeit sind einige dieser Pionierarten besonders
im Straßenbau zur wenig aufwändigen und damit kostengünstigen
Stabili-sierung frisch abgetragener, lehmiger, felsiger und steiniger Hänge
geeignet. Auch wenn die Pflanzen vom Nektar- und Pollenge-halt her nur
der Stufe 2 (mäßig) zugeordnet werden und sich der Insektenbesuch
bis auf Zottel-, Pelz- und Seidenbienen, Schein-bockkäfern (Grüner
Schenkelkäfer / Oedemeridae podagrariae) und dem selteneren, aber
in großer Populationsdichte vorkommen-den Bockkäfer <Phytoecia
cylindrica> sehr in Grenzen hält, liegt der ökologische Wert
der Pflanzen für viele Insektenarten vor allem in der ständigen
Verfügbarkeit durch die sich überlappenden Blühphasen (Blüten
von Anfang Mai bis zum ersten Schnee Anfang November ?Blühkalender
mit sich zum Teil mehrfach überlappenden Blühphasen)
Experimentell sind wir besonders der Frage nach der Auslösung
und Steuerung der Wachstums- und Entwicklungsvorgänge nach-gegangen.
Durch die gelungene Aufzucht aus Samen bis zur Samenreife bot sich uns
die Möglichkeit alle Lebensphasen im Labor und Freiland genauer zu
studieren und nach Ursachen zu hinterfragen. Dabei standen besonders die
Auswirkungen der abiotischen Faktoren „Licht, Temperatur und Luftfeuchtigkeit“
als Auslöser und Regulatoren (Stängel- und Blütenentwicklung,
Öffnungs- und Verschlussmechanismen bei Blütenköpfchen und
Samenständen, Keimung) im Vordergrund. Weil sich mit der Lichtstärke
auch die Temperatur und die relative Luftfeuchtigkeit ändert, war
die Zuordnung von Ursachen oft strittig und somit sehr schwierig. Nur mit
umfangreichen Experimenten ist es uns dann gelungen, zu eindeutigeren Aussagen
zu kommen. Gleichzeitig hat sich dabei herausgestellt, dass an den Vorgängen
auch noch zusätzlich eine Innere Uhr beteiligt ist, die durch individuelle
Unterschiede und in Kombination mit Schwankungen im Kleinklima immer wieder
zu Abweichungen im erwarteten Ergebnis geführt hat. Erst als wir die
einzelnen Faktoren in ihren Auswirkungen genauer studiert haben, ergab
sich die Möglichkeit einer konkreteren Vor-aussage des Verhaltens
(z. B. Lichtsteuerung beim Öffnen und Verschließen der Blüten).
Im Grundsatz lassen sich dabei die Vor-gänge auch mit dem normalerweise
nur bei tierischem Verhalten angewendeten hydraulischen Modell von Konrad
Lorenz gut erklären. Allzu häufige Ortswechsel führen durch
die damit verbundenen Veränderungen der Lichtverhältnisse leicht
zur Störung der Inneren Uhr und somit, wie beim Menschen, zu
einem fortschreitenden pflanzlichen Jetlag.
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